Vier große Mythen rund ums Impfen
10.04.2019
RKI-Experte Professor Fred Zepp setzt einigen verbreiteten Mythen wissenschaftlich belegte Fakten entgegen.
Wohl kaum ein Bereich in der Medizin ist von so vielen Vorurteilen geprägt wie das Impfen.
In seiner Funktion als Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) am RKI hat sich Zepp über viele Jahre intensiv mit den Argumenten der Impfgegner auseinandergesetzt und dabei eine Reihe von Mythen entlarvt (Monatsschr Kinderheilkd 2018; 166(12):1114–1119).
Mythos 1: Impfungen sind heute nicht mehr erforderlich
Dieses Argument beruht auf der Wahrnehmung, dass Infektionen wie Diphtherie, Tetanus, Pertussis oder Poliomyelitis heute zumindest in der westlichen Welt relativ selten sind.
Fakt: Der Rückgang der genannten impfpräventablen Erkrankungen ist Tatsache; aber er beruht eben gerade auf der konsequenten Durchführung entsprechender Impfprogramme. Nur würden diese zunehmend „Opfer ihres eigenen Erfolgs“, bedauert Zepp: Je besser sie wirken, desto mehr schwindet ihre Bedeutung aus dem Bewusstsein der Bevölkerung.
Tatsächlich ist es bisher nur einmal gelungen, eine Infektionskrankheit erfolgreich auszurotten, nämlich im Fall der Pocken. Auch für Masern und Poliomyelitis wäre dies laut Zepp „problemlos möglich“.
Dies setzt allerdings hohe Durchimpfungsraten von über 95 Prozent voraus, denn nur dann lässt sich eine Herdenprotektion erzeugen. Letztere wiederum ist erforderlich, um etwa auch immunsupprimierte Personen, bei denen eine vollständige Immunisierung nicht möglich ist, zu schützen.
Mythos 2: Die Infektion zu durchleben, schützt besser als Impfung
Dies wird häufig als Argument für die bereits genannten Masernpartys angeführt, bei denen Mütter ihre Kinder gezielt mit erkrankten Kindern zusammenbringen, um eine Infektion herbeizuführen.
Fakt: Gegen solche Praktiken spricht, dass eine akute Maserninfektion eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung darstellt; sie zählt laut WHO bis heute zu den häufigsten Todesursachen im Kleinkindalter.
Das Hauptproblem ist dabei die Enzephalitis, die dem RKI-Experten zufolge bei etwa einem von 1000 an Masern erkrankten Kindern auftritt. Impfgegner warnen immer wieder vor einer Enzephalitis als mögliche Folge der Masernimpfung. Tatsächlich ist aber das Enzephalitisrisiko bei nicht geimpften Kindern, die an Masern erkrankt sind, zehntausend-mal höher als nach einer Masern-Impfung.
Eine große Gefahr stellt schließlich die SSPE (subakute sklerosierende Panenzephalitis) dar, an der einer von 3000 bis 10.000 Masernpatienten erkrankt, und zwar oft erst Jahre nach der Infektion: Die SSPE endet, so Zepp, „immer tödlich“.
Mythos 3: Impfrisiken sind nicht hinlänglich bekannt
In diesem Zusammenhang führen Impfgegner häufig den angeblichen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und der Entwicklung von Autismus ins Feld.
Fakt: Geimpft wird, betont Zepp, seit mehr als 50 Jahren, sodass man mittlerweile auf eine sehr umfangreiche Basis von Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe zugreifen kann. Für neuere Substanzen gilt dem Pädiater zufolge zudem, dass sie nach der Zulassung regelmäßig Phase-IV-Studien durchlaufen müssen, mit denen auch sehr seltene Nebenwirkungen erfasst werden.
Was den Autismus angeht, wird häufig eine Studie aus dem Jahr 1998 zitiert (Lancet 1998; 351(9103):637–641). An dieser waren jedoch lediglich acht Patienten beteiligt. Wegen erheblicher methodischer Schwächen wurde die Studie 2010 zurückgezogen.
Erst kürzlich ist im renommierten Fachblatt „Annals of Internal Medicine“ eine große Bevölkerungsstudie aus Dänemark erschienen, in die Daten von über 657.000 Kindern einflossen. Ein Zusammenhang zur MMR-Impfung wurde nicht gefunden. Autismus trat unter den 31.617 ungeimpften Kindern genauso häufig auf wie unter den 625.842 geimpften Kindern (Ann Intern Med 2019; online 5. März).
Mythos 4: Zu viele Impfungen überlasten das Immunsystem
Fakt: Die heute verwendeten Impfstoffe sind, wie Zepp betont, „deutlich besser verträglich“ als die aus früheren Jahrzehnten. Das liege daran, dass man dank moderner biotechnologischer Methoden heute ziemlich exakt die Bestandteile eines Mikroorganismus identifizieren und isolieren kann, welche die erwünschte Impfantwort hervorrufen.
So komme man beim Pertussisimpfstoff heute mit lediglich drei bis fünf Komponenten aus, wo man früher Ganzkeimimpfstoffe mit mehr als 3000 unterschiedlichen Antigenen einsetzte. Auch die Entfernung von Konservierungsstoffen wie Thiomersal und die Reduktion weiterer Zusätze wie Aluminiumsalze habe dazu geführt, dass das Impfen heute wesentlich sicherer geworden sei, so Zepp.
Für die Hypothese, dass die in Vakzinen enthaltenen Additiva Autoimmunerkrankungen auslösen könnten, gibt es dem Pädiater zufolge bislang keine wissenschaftliche Evidenz.
Quelle: Ärzte Zeitung